Erfahrungsbericht – Kaiserschnitt

Therapie in der Schreiambulanz

Ich bin 38 Jahre alt, verheiratet und Mutter von zwei Kindern – einer 5-jährigen Tochter und einem 3-jährigen Sohn. Wir haben ein kleines Häuschen mit Garten in einem größeren Dorf, leben in gesicherten Verhältnissen und können wohl als typische Durchschnittsfamilie bezeichnet werden. Aussenstehende haben uns wahrscheinlich schon immer so gesehen und heute würde ich das auch zweifelsfrei unterschreiben. Allerdings sah dies, als wir unsere kleine Familie gegründet hatten, ganz anders aus:

Unsere Tochter war ein Wunschkind, auf das wir zwar etwas warten mußten, das dafür aber umso sehnlichster von uns erwartet wurde. Die Schwangerschaft war größtenteils in Ordnung, allerdings empfand ich sie durch die Übelkeit und die vorzeitigen Wehen nicht gerade als, wie ich so oft gehört hatte, schöne und angenehme Zeit. Da der sonstige Verlauf allerdings auf keine weiteren Komplikationen schließen ließ, kam es für mich wie ein Schlag aus heiterem Himmel, als Lara nach 18-stündigen Wehen mit Kaiserschnitt auf die Welt geholt werden mußte. Die unmittelbare Zeit nach der Geburt und die daran anschließenden Tage waren für mich ziemlich ernüchternd. Nach der OP durfte ich die Kleine nicht in den Arm nehmen, weil ich, wie dies so üblich ist, im Operationssaal ärztlich weiterversorgt wurde, und in den ersten Tagen, die ich stationär im Krankenhaus verbrachte, hatte ich große körperliche – und wie mir heute bewußt ist, auch seelische – Schmerzen und konnte deshalb unsere Kleine kaum versorgen – ich konnte sie nicht baden, wickeln, geschweige denn sie alleine aus ihrem Bettchen nehmen und in meinen Armen wiegen, wenn sie schrie. Und das tat sie mehr als oft.

Als die Schmezen von der OP dann nachließen, bin ich jede Nacht mit ihr auf dem Gang zwischen unserem und dem Schwesternzimmer in ihrer Wiege spazieren gefahren, um meine Zimmernachbarin nicht zu stören. Diese Schreiphasen, die vor allem in den Abendstunden begannen, sollten sich auch daheim fortsetzen, was zwar ziemlich anstrengend war, die sich aber, laut Aussagen der Hebamme und des Kinderarztes nach den ersten Wochen wieder legen würden. Vielleicht hätten mich diese Aussagen auch beruhigt, wenn ich nicht zu dieser Zeit schon festgestellt hätte, daß Lara sich von allen beruhigen ließ, nur nicht von mir. Ich konnte sie stundenlang schreiend im Gang hin und her tragen – ohne Erfolg. Kam dann mein Mann nach Hause oder kam die Oma zur Hilfe, war sie innerhalb kurzer Zeit ruhig.

Nachts allerdings, wenn sie mit Hunger aufwachte und ich sie stillte, kam sie nur wieder zur Ruhe, wenn sie in meinen Armen oder später auf meiner Brust einschlafen durfte. Wenn ich versucht hatte, sie wegzulegen, war sie sofort wieder hellwach und brüllte aus Leibeskräften, bis ich sie zu mir nahm und sie dann mit engstem Körperkontakt wieder einschlief. Dies sollte so bleiben, bis sie weit über ein Jahr alt war. Nicht, daß ich nicht versucht hätte, ihr diese, wie doch alle sagten, Gewohnheit abzugewöhnen – wie heißt das Buch doch so schön: „Jedes Kind kann schlafen lernen“. Wir mußten irgendwann akzeptieren, daß unsere Tochter ganz offensichtlich nicht zu „jedem Kind“ zählte.

Diese Schlafschwierigkeiten sollten sich nämlich fortsetzen, als sie in ihr eigenes Zimmer umziehen durfte – oder aus ihrer Sicht wohl eher mußte. Sie war nicht dazu zu bewegen, alleine einzuschlafen, egal was wir versucht hatten – sei es gutes Zureden, Musik, in der Nähe bleiben, mit Licht, ohne Licht, Türe auf, Türe zu, das x-te Schlaftraining. Bis ich schließlich eingesehen hatte, daß sie nur einschlafen kann, wenn ich im Zimmer bin. Aber an Durchschlafen war nicht zu denken. Jede Nacht wachte sie auf, meist schreiend, in Panik, voller Angst. Nur mit Mühe konnte ich sie beruhigen, wenn, ja, wenn ich sie wieder zu mir ins Bett holte und sie wieder mit engstem Körperkontakt einschlafen durfte.

In der Zwischenzeit war ich wieder schwanger. In der zweiten Schwangerschaft hatte ich von Anfang an mit Schwangerschaftsübelkeit zu kämpfen, die sich durch den ganzen Tag zog und von Stunde zu Stunde verschlimmerte. Medizinisch verlief alles in bester Ordnung und somit hatte ich nochmals alle Chancen, unseren Sohn auf normalem Weg zu entbinden – was mir allerdings wieder nicht gegönnt war, nachdem ich nach heftigsten Wehen, die die Nacht vor der Geburt andauerten, morgens Jonas erneut per Kaiserschnitt zur Welt bringen mußte. Da ich mich dieses Mal schon mit dieser Thematik auseinandergesetz hatte, war ich zwar enttäuscht, konnte aber mit der Situation viel besser umgehen. Auch körperlich war ich schneller wieder fit und ging voller Hoffnung mit unserem kleinen Nachwuchs wieder nach Hause. Zuerst schien Jonas auch viel ruhiger zu sein als Lara. Er schaffte es, einfach so ohne zu Brüllen seine Augen zu schließen und einzuschlafen – ich war glücklich und dankbar, daß mir ähnliche Nächte wie mit Lara erspart bleiben sollten.

Allerdings sollte ich dieses Glück nicht lange erfahren. Jonas fing nach kurzer Zeit an, nachts alle zwei Stunden aufzuwachen und wollte gestillt werden. Anfangs dachte ich mir nichts dabei, er war ja noch ein winzig kleines Baby, das noch keinen Rhythmus kannte. Was ich mir nie hätte träumen lassen, war dass Jonas diesen Zweistunden-Rhythmus nachts über viele Monate, fast bis hin zu einem Jahr, beibehalten würde.

Jegliche Versuche, ihn anderweitig zu beruhigen, schlugen fehl – und nachdem wir schon fast drei Jahre mit schlaflosen Nächten hinter uns hatten – versuchten wir wirklich alles: herumtragen, singen, Wasser geben, streicheln, schreiend im Bett liegen lassen, Nacht für Nacht – aber Jonas gab nicht auf. Er schrie sich die Seele aus dem Leib, bis das ganze Haus hellwach war und wir schließlich zwei schreiende Kinder beruhigen mußten. Deshalb gab ich es schließlich auf und gab ihm alle zwei Stunden die Brust. Wenn dies alles gewesen wäre, wäre ich sogar noch dankbar gewesen. Aber leider fuhr Jonas noch ganz andere Geschütze auf. Jede Nacht gegen 3 Uhr morgens schreckte er aus dem Schlaf und fing, wie vom Blitz getroffen, zu schreien an. Er schrie, als trachtete ihm jemand nach dem Leben. In den ersten Monaten versuchte ich, ihn zu beruhigen, indem ich ihn in meinen Armen wiegte und auf und ab trug. Doch es war sinnlos.

Er schrie aus Leibeskräften, wenn wir Glück hatten, nur eine Stunde, nicht selten aber 90 Minuten bis zu zwei Stunden. Danach schlief er völlig erschöft, und ich am Ende meiner Nerven, ein. Ich hatte immer gehofft, daß sich diese Anfälle irgendwann verlieren würden, aber dies war nicht der Fall. Als Jonas größer und kräftiger wurde, konnte ich bald nichts anderes mehr tun, als ihn in seinem Babybettchen vor sich hin wüten zu lassen, weil ich ihn nicht mehr bändigen konnte. Ja, bändigen, wie ein wildes Tier, denn er hangelte sich an seinen Gitterstäbchen hin und her und schlug sich nicht selten den Kopf gegen das Bettteil. Ich konnte ihn nicht mehr halten, weil er mir vom Arm gefallen wäre, so wehrte er sich gegen jegliche Berührung. Seine Augen waren während eines solchen Anfalles zwar offen, aber er schien nicht in unserer Welt zu sein. Sein Blick war starr und ziellos. Egal ob wir das Licht anmachten oder alles dunkel ließen, es machte keinen Unterschied. Er schien uns gar nicht zu bemerken. Ich fühlte mich nur noch hilflos, machtlos und auch schuldig, daß ich unserem kleinen Sohn nicht helfen konnte. Es gab Nächte, in denen ich so erschöpft und mit den Nerven am Ende war, daß ich aus dem Zimmer mußte, mir die Ohren zuhalten mußte, weil ich sein Geschrei nicht mehr ertragen konnte. Und dann kam umso mehr das Schuldgefühl in mir auf, daß ich als Mutter nicht in der Lage war, mein Kind zu trösten und zu beruhigen.

Morgens war ich wie gerädert, ich nahm ab, war matt, einfach völlig erschöpft und mit den Nerven am Ende. Als dann unsere Tochter in den Kindergarten kam, kam es zu dem berühmten Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Nachdem immerhin Laras Schlafstörung etwas besser geworden war, bekam sie im Gegenzug täglich nach dem Kindergarten die größten Wutausbrüche daheim. Es schien so, als ob sie nur einen Fuß über die Schwelle unseres Hauses setzen mußte und es brach aus ihr heraus. Und jetzt fing auch sie an, wegen Nichtigkeiten – die Gabel lag auf der falschen Seite des Tellers oder die Suppe war zu heiß oder der Himmel war blau! – bis zu einer Stunde zu schreien und zu toben. Vielleicht hätte man auch da sagen könnten: Das ist ganz normal. Dreijährige haben eben Wutanfälle. Aber Lara ist und war schon immer ein sehr ruhiges und sensibles Mädchen – und sie hatte diese Anfälle nur bei mir!!!

Meine Eltern und alle anderen, die sie kannten, konnten sich nicht vorstellen, von was ich redete, weil sie keiner so erlebte – außer mir. Jetzt hatte ich also einen kleinen Sohn, der mir die Nacht zur Hölle machte und eine große (kleine) Tochter, die dasselbe am Tag veranstaltete! Ich war kurz davor, meine Koffer zu packen und einfach abzuhauen. Nur weg, weg von dem Geschrei, weg von den Problemen, weg von meinen Kindern, weg von meiner eigenen Unfähigkeit!!! Wenn ich das so schreibe, kommen mir heute noch die Tränen, denn so hatte ich mir unser Familienleben in den schlimmsten Alpträumen nicht vorstellen können. Das war sie nun also, die Familie, die nach außen hin doch so normal wirkte. Keiner bekam etwas mit, weder von den nächtlichen Schreiattacken unseres Sohnes noch von den täglich wiederkehrenden Wutanfällen unerer Tochter. Es spielte sich ja alles nur in unseren vier Wänden ab!

Wäre ich nicht durch Zufall in die Schreiambulanz von Frau Schneider gekommen, bin ich mir heute nicht sicher, wie unsere Zukunft weiter verlaufen wäre. Dort bekam ich zum ersten Mal keine gutgemeinten Ratschläge, was ich besser machen konnte oder wie ich mich anders verhalten sollte – Dinge, die mir selber schon hundert Mal durch den Kopf gegangen sind – sondern dort wurde mir vorerst einfach nur Verständnis für meine Situation entgegengebracht. Mir wurde das Gefühl vermittelt, daß ich nicht die absolut unfähige Rabenmutter bin, für die ich mich in der Zwischenzeit gehalten hatte, sondern ich lernte, daß es Umstände gibt, die ich alleine einfach nicht zu lösen in der Lage war, auch wenn ich mich noch so angestrengt hätte. Und mir wurde zum ersten Mal klar, daß ich KEINE SCHULD an unserer Situation trage – dieses schuldige Gefühl, das ich seit Jahren mit mir rumtrug!

Ich war mit Lara ganze drei Sitzungen bei Frau Schneider und ich durfte eine Änderung erfahren, die mir heute noch Gänsehaut verschafft, wenn ich daran denke. Mir wurde bewußt gemacht, daß durch den Kaiserschnitt und die dadurch fehlenden ersten Körperkontakte, die man bei einer spontanen Geburt hat, die Bindung zwischen Lara und mir nicht so gefestigt war, wie sie sein sollte. Durch „begleitetes Weinen“, bei dem ich Lara ganz nah an mich gedrückt hatte und sie, wie es schien, ihren ganzen inneren Schmerz und die angestaute Verzweiflung, die ich in unserem Kind nie vermutet hätte, aus sich herausgeweint hatte, veränderte sich etwas bei ihr. Ihre Wutausbrüche wurden weniger, bis sie gar nicht mehr auftraten und sie fing plötzlich an, sich auf meine Schoß zu setzen, sich an mich zu kuscheln, mich zu drücken und mir Küsschen zu geben – etwas das sie vorher nie, oder nur sehr ungern getan hat. Sie fing sogar an, immer öfter zu sagen: „Mami, ich hab Dich lieb!“ – das hatte ich vorher noch nie aus ihrem Mund gehört. Und man kann sich kaum vorstellen, was diese Worte für eine Mutter bedeuten können, wenn man sie das erste Mal aus dem Mund seines Kind hört!!! Der erste zentnerschwere Steinbrocken schien von mir abzufallen!!!

Bei Jonas war es etwas komplizierter. Er verarbeitete, wie ich erfuhr, seine für ihn offensichtlich recht traumatische Geburt, bei der er während der Wehen immer wieder mit dem Kopf an meinem Schambein hängengeblieben war, in seinen nächtlichen Schreianfällen. Nach einigen Sitzungen, in denen er verschiedene Polarities bekam, sollte er nochmal durch seine eigene Geburt gehen. Was wahrscheinlich nicht nur mir anfangs ziemlich fragwürdig erschien, sollte sich als die Methode herausstellen, die Jonas nachts endlich zur Ruhe kommen ließ. Seit dem Tag seiner „zweiten Geburt“, auf den Tag genau eineinhalb Jahre nach seiner ersten, hat er nachts keine derartigen Schreiattacken gehabt.

Welche Last damit von mir genommen wurde, ist nicht zu beschreiben. Für mich war es wie ein kleines Wunder. Seit diesem Tag gehe ich wieder befreit ins Bett, weil ich weiß, daß Jonas – und mit ihm wir alle – nachts nicht mehr die Hölle durchleben. Natürlich ist er nicht von heute auf morgen zum „Superschläfer“ geworden, bis heute – und jetzt ist er drei Jahre alt – wacht er nachts auf und kommt zu uns ins Bett. Aber was soll’s, heute haben wir ein, und recht oft auch noch zwei Kinder neben uns im Bett liegen. Aber unter ganz anderen Umständen – die Kinder, die jetzt neben uns liegen, schlafen, und zwar RUHIG UND ZUFRIEDEN!

Während der Therapie wurde mir außerdem klar, daß die Lebensumstände, die mich in meinem Leben und Verhalten geprägt haben und auf gewisse Weise leise in mir dahinschlummerten, jetzt von meinen Kindern wieder wach gerüttelt wurden. Die Einzelsitzungen, in denen ich meine traumatischen Erlebnisse aufzuarbeiten lernte, von denen mir anfänglich gar nicht klar war, daß ich diese überhaupt hatte, stellten sich nach und nach nicht nur als Bereicherung für meine Kinder, sondern auch für mich selbst heraus. Ich lernte, wie meine Gefühlsschwankungen von meinen Kindern aufgenommen und entsprechend zurückgegeben wurde – ob positiv oder negativ. Ich lernte, meine Gefühle und Reaktionen auf das Verhalten der Kinder besser zu verstehen und anzunehmen und nicht nur zu verurteilen. Ich lernte einen großen Teil von mir kennen, der bis dato vor mir gänzlich verborgen war.

Wenn ich heute zurückblicke, frage ich mich oft, wie ich und unsere ganze Familie die letzten Jahre jemals überstehen konnten. Hätten wir nicht unser gefestigtes Umfeld und die Hilfe von Frau Schneider und ihrer Schreiambulanz gehabt, wäre unsere Familie wahrscheinlich in dieser Zeit auseinandergebrochen, weil ich nicht mehr die nötige Kraft gefunden hätte, so weiter zu machen. Glücklicherweise waren wir in der finanziellen Lage, daß wir uns diese Therapie leisten konnten, auch wenn dafür manch andere Anschaffungen aufgeschoben werden mußten. Aber wenn wir heute unsere Situation betrachten, war uns die Behandlung jeden einzelnen Cent wert. Wir sehen es als Investition in unsere Kinder und sind uns sicher, daß wir alles Mögliche getan haben, um ihren und unseren gemeinsamen Weg zu ebnen und in die richtige Bahn zu lenken.

Dank der Behandlung in der Schreiambulanz von Frau Schneider sind wir schlußendlich doch noch zu der ganz normalen Durchschnittsfamilie geworden, für die uns alle doch immer schon gehalten haben – der Weg dorthin war allerdings voller großer Felsbrocken, die wir aber nach und nach allesamt gesprengt haben!!! Und darauf bin ich sehr, sehr stolz!!!