Geburtstrauma bei Neugeborenen

Zeitungsartikel Kinder in der Stadt – Ausgabe 2/3 2017
Jede Geburt ist Stress, aber nicht jeder Geburtsstress muss ein Trauma sein

Trauma bedeutet per Wortdefinition Verletzung. Ein Psychotrauma ist demzufolge eine psychische Verletzung. Bei einem Geburtstrauma geht diese Verletzung mit dem Gefühl von Hilflosigkeit und Schutzlosigkeit sowie einer gestörten Regulations- und Bindungsfähigkeit des Babys einher.

Viele Menschen erleben Stress. Ein Trauma ist auch massiver Stress, aber nicht jeder Stress ist ein Trauma! Das ist bereits der wichtigste und zentralste Unterschied. Bei einem Trauma sprechen wir von einer überwältigenden Stressbelastung. Die Systeme von Säuglingen wie die von Erwachsenen können mit ihren angelegten Coping- und Anpassungsstrategien auf die Belastung bzw. überwältigende Situation keine Antwort mehr geben. In der Schwangerschaft, während der Geburt und in der Babyzeit wird unsere Persönlichkeit weitgehend geprägt, unsere Verhaltensweisen und vor allem, wie wir später Beziehungen und Bindungen eingehen, finden hier einen Teil ihrer Wurzeln. Das Baby in der Gebärmutter ist in der Bindung zu seiner Mutter eingebettet. Wird die Mutter oder das Kind unter der Geburt akut traumatisiert, bricht ihr Bindungs- und Resonanzfeld zusammen.

Was passiert neurophysiologisch/neurovegetativ mit Babys, wenn sie überwältigenden Stress (Trauma) erleben?

Die Hauptfunktion unseres Gehirnes besteht darin, zu überleben. Nimmt unser Gehirn eine Gefahr oder Bedrohung wahr, dann wird automatisch eine außergewöhnliche Menge an Energie freigesetzt, um unser System zu verteidigen oder zu schützen. Das autonome Nervensystem steuert diese Überlebensregulation. Unser Organismus versucht eine Bewältigung dieser Stressreaktion, um diese Übererregung im Körper wieder zu lösen. Ist dies nicht möglich, beginnt für den Körper ein Prozess von Überwältigung und Lebensbedrohung. Es kommt zu einer akuten Schock- und Lähmungsreaktion. Die erlebte Schreckangst mündet nun in einer Erstarrungsreaktion. Der Körper bleibt in diesem hohen Erregungsniveau stecken.

Wie reagieren diese Babys im Kontakt mit ihrer Bindungsperson?

Die Mutter erlebt ihr Baby als fremd, sie versteht ihr Baby nicht. Exzessive Schreiphasen, Blickkontaktvermeidung, übersteigerte Wachheit und Unruhe sind die Folgen. Das Baby erscheint schreckhaft, reagiert mit Reizüberflutung und zeigt Fremdenangst. Beruhigungsstrategien wirken nur kurz oder überhaupt nicht. Manche der Babys werden immer stiller und zeigen kaum noch ein Interesse an ihrer Umwelt. Ein Teufelskreis zwischen Angsterleben und Bindungsverlust entsteht, was bei den Eltern zu Verzweiflung und Erschöpfung führt.

Die Babys und die Mütter verlieren nun ihre Bindungssicherheit. Babys können nicht mit Worten sprechen, sie können nicht kämpfen oder weglaufen. Sie teilen uns ihre Empfindungen und ihre Gefühle durch ihren Körper mit. Als Folge dieser psychophysischen Alarmreaktion, in welche die Eltern mit ihren Babys durch dieses Trauma geraten, führt dazu, dass sie ihren Zugang zu ihren intuitiven Ressourcen ihres Körpers verlieren. Statt spontaner und feinfühliger Reaktionen auf die Bedürfnisse ihres Kindes geraten die Eltern in ein Chaos aus Gedanken und tosenden Gefühlen, denen sie nur schwer entfliehen können.

Wie kann den Babys und somit auch den Eltern geholfen werden?

Über körpertherapeutische Arbeit kann ganz gezielt mit der Traumaerfahrung gearbeitet werden. In der Arbeit mit den Babys liegt das Augenmerk gleichermaßen auf der Stärkung der Selbstregulationsfähigkeit, der Bindungsförderung und auf der Aufarbeitung und Integration der schmerzhaften, traumatischen Erfahrung. Das Baby möchte gehört, gesehen und verstanden werden. Dies gibt den Eltern Orientierung, ihr Baby in seiner Betroffenheit besser verstehen zu können. Eine nicht aufgearbeitete traumatische Erfahrung kann sich ein Leben lang (Schule, Beziehung usw.) in unterschiedlichen Verhaltensmustern zeigen.

Quellen: Thomas Harms, Franz Rengli, Peter Levine, Karlton Terry

Link zum Erfahrungsbericht „Geburtstrauma bei Neugeborenen“